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Editorial 09-23

Editorial 09-23

Editorial 09-23
Editorial 09-23

Liebe Weinwisser,

während ich diese Zeilen schreibe, ist die Lese vielerorts schon in vollem Gange. Klar ist, dass auch in 2023 die Wetterkapriolen den Winzern mit Hagel, Regen und zu warmen Spätsommernächten ganz schön zusetzen. War 2021 tendenziell kühl und nass, litt 2022 unter extremer Hitze und Trockenheit. Ein in vielerlei Hinsicht sehr anspruchsvolles Jahr. Erst viel zu lange trocken, dann zu nass. Aufgrund der Dürre stagnierte die Reife, mancherorts gab es so niedrige Zuckerwerte wie lange nicht mehr. Theresa Breuer berichtete von Oechsle-Graden um die 79 bis 84, was ihr im unter der Trockenheit leidenden Rüdesheimer Berg zarte Rieslinge mit 11.5 Vol.-%, aber mit schöner Lagenexpression bescherte.

Einige werden wohl mit Blick auf die Defizite der Natur nachgeholfen haben, denn chaptalisieren ist bei den Großen Gewächsen erlaubt. Die Dürre rückt auch zunehmend das Thema der Bewässerung in den Vordergrund. Wer denkt, dass solche Traumsommer zwangsläufig zu reifen Trauben und exquisiten Weinen führen, sieht sich getäuscht. Längst dreht sich der einstige Vorteil des «Global Warmings» ins Gegenteil. «Der Zeitpunkt, dass wir noch davon profitierten, ist überschritten», sagte mir Mosel-Winzer Clemens Busch schon vor Jahren. Extreme Hitze und Trockenheit gefährden nicht nur in Südeuropa, wo Rebstöcke und Anbaumethoden oft an das dortige Klima adaptiert sind, sondern auch bei uns den Weinbau. «In Zeiten des Klimawandels gerät diese Balance leider zum Teil aus den Fugen. Je skelettreicher die Böden sind, umso mehr bekommt man das zu spüren. Ich hoffe, es wird nicht noch deutlich extremer in den kommenden Jahren, sonst werden einige Standorte nicht mehr ohne jährliche Bewässerung auskommen, und das in allen Weinbauregionen», sagt mir Philipp Wittmann im Exklusivinterview auf Seite 20.

2022 erbrachte paradoxerweise eher schlanke und rassige Weine mit teils packender und teils sehr weicher Säure: In der Anmutung klassisch-feine Weine, in den besten Fällen mit Komplexität, Substanz, Länge und – so der Grand-Cru-Anspruch – mit klarer territorialer Ausprägung. Ein Jahr, das wasserspeichernde Terroirs bevorzugte und große Winzerkunst erforderte, um Spitzenweine zu erzeugen. Davon gab es tatsächlich einige Exemplare, immerhin haben wir zwei Weine mit 19.5/20 Punkten prämiert. Die Spitze kann sich sehen lassen, auch wenn wir hier klar unter dem Vorjahr liegen. Hatten wir im Vorjahr bei den Top-Rieslingen 14 Weine mit 19/20 Punkten, sind es heuer die Hälfte, also nur sieben Weine von insgesamt rund 370 verkosteten Rieslingen (davon 345 GGs). Leider gibt es aber auch etliche Weine, die einfach dünn, phenolisch und säuerlich wirken und dem GG-Anspruch nicht genügen. «Nur mit wirklich niedrigen Erträgen konnte man auch 2022 Spitzenweine erzeugen», so Klaus Peter Keller.

Aber unsere Leser wissen und schätzen uns dafür, dass wir strenger bewerten als manche unserer Kollegen, die auch in einem solch schwierigen Jahrgang Maximalpunkte verteilen. Die besten 2022er trockenen Rieslinge kommen aus Rheinhessen, der Pfalz und der Nahe. Der Rheingau, der seine GGs ein Jahr später vermarket, zeigte einige exzellente Weine aus 2021.

2022 ist bei den weißen Pinots ein durchaus gutes Jahr, da die frühen Sorten nicht ganz so von den andauernden Regenfällen betroffen waren. Während bei den roten Pinots die größte Herausforderung für die Winzer zuletzt darin lag, die Spätburgundertrauben «al dente» vom Stock zu holen, musste in 2021 das ganze Jahr über um die Qualität jeder einzelnen Traube hart gekämpft werden. Julian Huber, der mit seinem Malterdinger Spitzenweingut dieses Jahr die Krone aufhat, brachte es auf den Punkt: «2021 war von Anfang an brutal aufwendig».

Keine ganz so einfache Zeit für den deutschen Spitzenwein, umso erfreulicher, dass sich viele Top-Winzer mit viel Aufwand, neuen Rezepten und kluger Weitsicht auf die neuen Herausforderungen einstellen. Das Ergebnis in der Spitze lässt sich entsprechend sehen.

Ich wünsche Ihnen viel Genuss beim Lesen, Entdecken und Nachprobieren!

 

Giuseppe Lauria

Chefredakteur WEINWISSER

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