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Sizilien: Autochthone Renaissance – Back to the Roots

Sizilien: Autochthone Renaissance – Back to the Roots

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Sizilien: Autochthone Renaissance – Back to the Roots

In kaum einer anderen Weinregion Italiens hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten so viel getan wie auf der grössten Mittelmeerinsel. Lange galten die Inselweine Siziliens als die Antwort Italiens auf die Neue Welt. Doch nach dem Boom mit internationalen Rebsorten besinnen sich Siziliens Weinmacher zunehmend auf die einheimischen Sorten und streben nach mehr Finesse und Authentizität – vor allem am Ätna und im Südosten der Insel.

Sizilien ist nicht nur eine faszinierend schöne Insel. Mit Blick auf den Wein gleicht sie einem Weinkontinent. Denn so vielfältig wie die Landschaften und kulturellen Einflüsse der Insel, so facettenreich zeigen sich auch die Weine. Vom schneebedeckten Ätna im Nordosten bis hin zum Brutofen im Süden der Insel mit subtropischem Klima wachsen auf unterschiedlichen Böden und Kleinklimazonen spannende Weine, die den kontrastreichen landschaftlichen Spannungsbogen widerspiegeln. Und nach dem grossen Erfolg der einst einfacher zu vermarktenden Weine aus internationalen Rebsorten wie Cabernet Sauvignon und Chardonnay ist seit gut 15 Jahren eine echte autochthone Renaissance im Gange. «Die internationalen Sorten, die hier prächtig gedeihen, haben unser Terroir in der Welt bekannt gemacht. Jetzt konzentrieren wir uns auf unsere lokalen Schätze, die uns noch mehr Individualität geben», fasst Francesco Ferreri, Präsident von Assovini – dem wichtigsten Winzerverband Siziliens –, die neue Herausforderung zusammen.

Angetrieben wurde dieser Trend vor allem von Avantgardisten und Pionieren wie Tasca d’Almerita, Planeta, Donnafugata, COS und Gulfi. Erst verhalfen sie dem weitverbreiteten Nero d’Avola zu einer vielbeachteten Renaissance: Vom einstigen anonymen Verschnittwein zum Aufpäppeln schmalbrüstiger Weine des Nordens entwickelte er sich zum charaktervollen Aushängeschild der Insel und ist auch heute noch die wichtigste rote Rebsorte. Im Übrigen eine Terroir-Rebsorte, die in verschiedenen Anbauzonen unterschiedlich ausfällt.

Dem Zauber des Berges erlegen

Dass in den letzten Jahren auch die alten Ätna-Rebsorten wie Nerello Mascalese und Cappuccio bei den Roten sowie Carricante und Minella bei den Weissen stärker in den Blickpunkt gerieten, ist eine konsequente Fortsetzung dieser Rückbesinnung.

Echte Pionierarbeit haben dabei alteingesessene Betriebe wie etwa Benanti geleistet. Zusammen mit seinem damaligen önologischen Berater Salvo Foti, einem der gefragtesten Kenner des autochthonen Rebmaterials der Insel, glaubten sie schon in den Neunzigern an das grosse Potenzial des Ätnas, also in einer Zeit, als der Ätna noch im Dornröschenschlaf lag und hier noch Weinberge gerodet wurden, weil sie unwirtschaftlich waren und EU-Rodungsprämien winkten. Heute sind die Top-Lagen begehrt und wertvoll wie nie zuvor. Doch wer einen alten «Pietramarina» Etna DOC aus den weissen, auf 900 m ü. d. M. wachsenden Carricante-Trauben ins Glas bekommt, weiss, dass hier schon lange Spitzenweine gemacht werden. Das Gleiche gilt für einen gereiften «Serra della Contessa» von Nerello-Mascalese-Trauben aus einem 100 Jahre alten Weinberg mit teils wurzelechten Stöcken. Der entscheidende – auch mediale – Schub kam aber erst mit den Ätna-Neuankömmlingen wie Andrea Franchetti von Passopisciaro und Marc de Grazia von der Tenuta delle Terre Nere Anfang der 2000er.

Später folgten Vorzeigebetriebe wie Planeta und Tasca d’Almerita, die in der Contrada Sciara Nuova auf 750 bis 850 m ü. d. M. beeindruckende, von alten Lavatrockenmauern umfriedete Terrassenlagen erworben haben. Mit Investitionen und einem sich gegenseitig befruchtenden Miteinander mit den ansässigen Betrieben belebten sie die jahrhundertealte Weinbautradition am Ätna auf breiter Basis wieder. Gemeinsam setzen sie sich für die Fortentwicklung der Appellation nach dem burgundischen Cru-Prinzip ein, sprich: die Herausarbeitung von Einzellagen. Das macht Sinn, denn der Ätna ist für sich genommen schon ein kleiner Weinkontinent, und selbst innerhalb einer Contrada variieren die Bodenformationen. So schmecken die Weine rund um das magische Dreieck Randazzo – Passopisciaro – Castiglione im Nordosten des Vulkans noch kühler und eleganter als an den südlichen Ausläufern des mächtigen und immer noch brodelnden Vulkans: «Cool Climate»-Weine, die eher an die des Burgunds oder jene aus der Langhe im Piemont erinnern. Obgleich sich die Preise für einen Hektar Weinberg in den letzten 10 Jahren nahezu verdoppelten, ist Franchetti überzeugt, dass sich der Ätna «noch am Anfang des Booms» befindet.

Kein Zweifel: Die Region ist seit Jahren im Aufbruch und zieht immer mehr Weinmacher und Weinfreaks in ihren Bann. Einer der ersten war Frank Cornelissen. Der Belgier erwarb vor rund 15 Jahren ein paar gute Parzellen mit alten, wurzelechten Rebstöcken rund um Randazzo. Mit seinem streitbaren «non-interventionalistischen» Stil naturbelassener und ungeschwefelter Amphorenweine hat auch er zur Bekanntheit der Ätna-Terroirs beigetragen.

Dem Zauber des Berges sind zuletzt auch die Winzerin Silvia Maestrelli aus der Toskana (Tenuta di Fessina) und der Quereinsteiger Peter Wiegner aus der Schweiz erlegen, der sich bei Randazzo den Traum des eigenen Weinguts erfüllte. Das hat zum Glück auch die einheimischen Winzer wachgerüttelt: Erfreulich dabei ist, dass viele junge Weinmacher vom Ätna wie Alberto Graci, Michele Faro (Pietradolce) und Giuseppe Russo selbst Initiative ergreifen. Der lange vorherrschende Trend, dass der Winzernachwuchs statt in Handarbeit alte Reben zu pflegen lieber einen Bürojob im Norden oder im Ausland vorzog, scheint sich umzukehren. Und darum geht es auch bei dem von Salvo Foti ins Leben gerufene Consortium «I Vigneri» – eine Art Gilde, deren Wurzeln im Mittelalter liegen. «Wir wollen mit traditionellen Arbeitsmethoden die uralten Weinberg-Traditionen am Ätna erhalten und den lokalen Bauern und Winzernachwuchs eine Perspektive geben,» erklärt Salvo Foti eines der Ziele. So werden unter ihrem «I Vigneri»-Label ausschliesslich mit Alberello-Stöcken bepflanzte Weinbergslagen in herkömmlicher Handarbeit bewirtschaftet und mit aufwendigen Trockenmauern aus Lavastein naturgetreu restauriert, «damit diese jahrhundertealte Tradition nicht verloren geht», so Foti.

Kühle Berg-Weine vom brodelnden Vulkan

Apropos Finesse und Authentizität. Am besten kommt dies hier am Ätna zum Ausdruck, wo es trotz des Booms noch angenehm beschaulich zugeht. Schon bei meiner ersten Ätna-Begehung vor rund 15 Jahren war ich fasziniert von der archaischen Landschaft des mächtigen Vulkans, den steilen Weinhängen, den alten Palmenti (Kelterhallen) aus Lavastein, den bizarren Formen erstarrter Lavaströme, die sich mit fruchtbarem Land abwechseln. Hier, am Mongibello, dem »schönen Berg«, wie die Einheimischen den Ätna trotz seiner Drohkulisse liebevoll nennen, stösst der Weinbau aufgrund der extremen geoklimatischen Verhältnisse in den Höhenlagen an die Grenzen des Machbaren: Extrem-Weinanbau bis hinauf zu 1200 m ü. d. M. – Wetterkapriolen und brodelnder Vulkan inklusive. Genau hier, auf den steilen Lavaböden, mit einem für diese Breitengrade erstaunlich kühlen Klima, entstehen aus alten Rebstöcken aussergewöhnliche Weine mit grosser Feinheit, Spannkraft und mineralischer Kühle. Sie profitieren von den extremen Tag-Nacht-Temperaturunterschieden und den mineralreichen Lavaböden. Überraschenderweise nicht nur die Roten, sondern auch die Weissen!

Hier gibt es noch Weinberge aus der Prä-Phylloxera-Zeit, also noch bevor die Reblaus ihr verheerendes Werk quer durch Europa anrichtete: Weinberge mit über 100 Jahre alten knorrigen Alberello-Stöcken, der traditionellen Bäumchenformerziehung. Ein ähnlich extremes Bild findet sich weiter nördlich im Hügelland hoch über Messina in der kaum bekannten Mini-Appellation Faro DOC. Dort keltern die Brüder Geraci hauptsächlich aus Nerello-Sorten von sehr steilen Terrassenlagen, die wie Schwalbennester aussehen, zwei Spitzenrotweine von geradezu burgundischer Finesse. Der Faro Palari gehört zu den besten Rotweinen Italiens.

Charaktervolle Weine vom Südosten und Inselinneren

Aber auch in anderen Teilen der Insel besinnt man sich stärker auf die Herkunft. Besonders aus dem Südosten der Insel zwischen Vittoria, Noto und Pachino – für viele die Ursprungsregion des Nero d’Avola – kommen schon seit Jahrzehnten spannende Weine, die nichts, aber auch gar nichts mit den lange Zeit eher marmeladigen Nero-d’Avola-Weinen aus anderen Inselzonen gemein haben. Allen voran steht hier das von Salvo Foti beratene Weingut Gulfi für einen unverwechselbaren Nero-d’Avola-Stil. Diese authentischen Bio-Weine fallen je nach Bodenart und Lage unterschiedlich aus, zeigen eine erstaunlich frische Säurestruktur und reifen hervorragend (siehe Verkostungsnotizen). Ähnliches gilt auch für Nero d’Avolas aus gebirgigen Höhenlagen, wie etwa im Inselinneren in der DOC Contea di Sclafani – wo Tasca d’Almerita auf seinem Vorzeigegut Regaleali als einer der Ersten seit Jahrzehnten einen hervorragenden Nero d’Avola abfüllte, der beim komplexen «Rosso del Conte» die Hauptrolle spielt.

Eigenständig und mit klarem Profil sind auch die Weine aus der einzigen DOCG-Zone rund um Vittoria. Der aus Nero d’Avola und Frappato bestehende «Cerasuolo di Vittoria» ist ein höchst individueller Wein. Eine historische Cuvée, die auch leicht gekühlt pure Trinkfreude auslöst. Der aromatische Frappato verleiht ihm die unnachahmliche Eleganz und Leichtigkeit. Schwachfarbig erinnert er mit seiner beschwingten Art und den knackig-frischen Noten von Himbeeren und Erdbeeren, Minze und roter Johannisbeere eher an einen leichtfüssigen Pinot oder guten Gamay als an einen Wein, der unweit der afrikanischen Küste angebaut wird. Und das oft mit moderaten 12,5–13 Vol.-%. Alteingesessene Betriebe wie COS, wo bei einem Teil der Weine die Amphore den Ton angibt, oder Valle dell’Acate von Assovini-Präsident Ferreri machen hier seit Jahren charaktervolle Weine. Spannend sind dabei die reinsortigen Frappatos. Eine gefeierte Newcomerin in diesem Gebiet ist auch die junge Winzerin Arianna Occhipinti. Im Mikroklima von Vittoria, wo eine frische Brise vom Meer etwas Abkühlung für die Reben bringt, keltert die rassige Sizilianerin im strengen Bio-Anbau naturnahe Terroir-Weine mit Ecken und Kanten. Ungeschminkt sozusagen.

Aber zurück zu Vielfalt und Weinkontinent: Exemplarisch kommt dies zum Ausdruck bei Betrieben wie Planeta, die Weinberge in unterschiedlichen Zonen der Insel besitzen: Ihre Weinlese zieht sich über 3 Monate! «Wir beginnen im August mit den frühreifen Sorten im südwestlichen Menfi und schliessen Ende Oktober mit dem Nerello Mascalese auf dem Ätna ab», bringt Alessio Planeta die Diversität auf den Punkt. In kühlen Jahrgängen kann sich die Lese am Ätna auch weit bis in den November hinein ziehen, wie etwa Alberto Graci und Marc de Grazia berichten. Eigentlich kaum zu glauben, dass im südlichen Mittelmeer solche «Cool Climate»-Bedingungen herrschen, die so frische und mineralisch geprägte Weine hervorbringen. Sogar mit Riesling auf rund 900 Höhenmetern wird experimentiert. In Planetas Etna Cuvée «Eruzione 1614» stehen dem Carricante schon 5 % Riesling zur Seite. «Wir arbeiten inzwischen an einem reinsortigen Riesling», so Planeta.

Auch das gehört zu Siziliens Vielfalt, wenn auch insgesamt urwüchsige Rebsorten wie Perricone, Grillo, Inzolia, Zibibbo (Muscat d’Alexandrie) und Malvasia zunehmend den Ton angeben. Die beiden Letztgenannten eignen sich besonders für die ebenso beachtlichen Passito-Süssweine, insbesondere von den kleinen Vulkaninseln wie Lipari, Salina und Pantelleria – echte lokale Schätze, die Herkunft und Individualität zeigen.

Fazit: Sizilien besinnt sich zunehmend auf die eigene Identität, auf sein jahrtausendealtes Erbe, auf seine Vielfalt, kurzum: auf seine – im wahrsten Sinne des Wortes – eigenen Wurzeln. Und der Ausblick ist positiv: Viele der verkosteten Weine auf der Primeur-Veranstaltung auf Vulcano konnten überzeugen. Und mit 2014 gärt wohl einer der besten Jahrgänge der letzten Jahre in den Kellern Siziliens.

Beitrag und Fotos: Giuseppe Lauria


Die detaillierten Verkostungsnotizen mit Weinbewertungen zum  Sizilien-Beitrag «Autochthone Renaissance» erscheinen Ende März 2015 in WEINWISSER 3/15 .

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