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Barone Ricasoli: Zurück in die Zukunft

Barone Ricasoli: Zurück in die Zukunft

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Barone Ricasoli: Zurück in die Zukunft

1993 hat Francesco Ricasoli, 32. Baron von Brolio, die Geschäfte des ältesten Familienweinguts Italiens übernommen. Der Weinbau auf dem Landgut der Ricasolis lässt sich bis in das Jahr 1141 zurückverfolgen; seit 1167 sind sie Eigentümer von Castello Brolio, welches ihnen durch ein Edikt von Kaiser Federico Barbarossa im Jahr 1167 übertragen wurde. Das auf einem Hügel gelegene Schloss, mit Blick in Richtung Siena, ist wie eine Burg befestigt und bis heute Ausdruck des wirtschaftlichen und politischen Erfolges der Familie.

Der Urgroßvater des heutigen Barons Ricasoli, Bettino Ricasoli – auch der Eiserne Baron genannt – war ein politisches Schwergewicht seiner Zeit und ab 1861 zweiter Premierminister des unter Viktor Emanuel II frisch geeinten Königreichs Italien. Parallel war er Experimentator und Landreformer – einen besonderen Platz in den Geschichtsbüchern des Weins hat ihm jedoch, nach Jahrzehnten der Forschung, die „Erfindung“ seines Chianti-Rezepts im Jahr 1872 eingebracht. Die Chianti-Formel, eine Kombination der Rebsorten Sangiovese und Canaiolo mit kleineren Teilen der weißen Rebsorten Trebbiano und Malvasia, blieb zwar bis 2006 unumstößlicher Bestandteil italienischer Weinkultur, doch für den Ricasoli-Clan lief in den letzten Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts nicht immer alles glatt.

Die in der 1960iger Jahren eingegangene Partnerschaft mit dem amerikanischen Getränkekonzern Seagram führte zu einer qualitätsmindernden Ausweitung der Produktion und auch das kurze Zwischenspiel des australischen Weinkonzerns Hardy führte zu keiner Verbesserung. Erst der Rückerwerb der Anteile durch die Familie Ricasoli und die Übernahme der Geschäfte durch Barone Francesco Ricasoli im Jahr 1993 brachte die Wende. Seine Rückbesinnung auf alte Tugenden und die Suche nach dem dritten Weg zwischen großen Betrieben mit fragwürdigen Qualitäten und Elitewinzern, deren Mikropoduktion für fast alle Genießer unbezahlbar ist, brachte den Erfolg zurück.

Die Fertigstellung der neuen Kelterhalle in 2012 ist vielleicht der sichtbarste Teil der massiven Qualitätsbestrebungen der letzten 20 Jahre, die Baron Francesco Ricasoli mit unglaublicher Energie, Aufwand und Ausdauer betrieben hat. Im Gespräch mit dieser angenehm unprätentiösen, humanistisch gebildeten und feinsinnigen Persönlichkeit spürt man schnell den Unternehmergeist, der ihn zu seinen Taten antreibt. Sein Ansatz ist eine Mischung aus der Konzentration auf die Stärken der Region und die eigene Vergangenheit, kombiniert mit den modernen Erkenntnissen der heutigen Weinbergs- und Kellerarbeit. Dass er sich dabei nicht auf das Wissen anderer verlässt, sondern Motor neuer Studien und Forschungen ist, zeigen seine aktuellen Forschungsergebnisse, die er in der Zusammenarbeit mit mehreren Universitäten erzielt hat und die in diesem Jahr als Buch publiziert wurden.

Die größtenteils in den 60er Jahren angelegten Weinberge des „alten“ Weingutes befanden sich 1993 in einem diffizilen Zustand, u.a. weil das Team um Francesco Ricasoli über 80 verschiedene Sangiovese-Klone in den Weinbergen vorfand. Diese Heterogenität in einer Rebsorte war einerseits Last und Quelle unregelmäßiger Qualitäten, andererseits stellte sie einen wahren Schatz dar, den es zu heben galt.

Den Schlüssel zu mehr Qualität im Wein und damit zum Erfolg sieht der Baron in der richtigen Kombination des Terroirs (Bodenbeschaffenheit, Exposition, Wasserversorgung etc.) mit den jeweils dafür geeignetsten Klonen. Umfangreiche Bodenuntersuchungen in den über 230 Hektar großen Weinbergen, allesamt gelegen in Höhen zwischen 250 und 800 Metern über NN, wiesen sehr unterschiedliche Bodentypen aus: Macigno del Chianti, diverse Sandsteinformationen mit Auflagen von Kalkmergel und schwarzem Lehm, Montemorello, auch Albarese und Galestro genannt, meist karge Kalkböden, sowie Pliocene, überwiegend von Kalk und Sand geprägte Böden in der Ebene. Gleichzeitig erlangte man umfangreiche Erkenntnisse über die unterschiedliche Wasserversorgung innerhalb der jeweiligen Bodenformation.

Die parallel dazu verlaufende Erforschung der alten, umfangreichen Varietäten von Sangiovese folgte dem Gedanken: Je älter ein Rebstock ist, desto besser muss er sich den spezifischen Bedingungen seines Standortes angepasst haben, ansonsten wäre er nicht so alt geworden. Demzufolge lässt sich insbesondere mittels alter Weinstöcke – gemäß der Darwinschen Lehre „survival of the fittest“ – am besten analysieren, welche Eigenschaften für das optimale Gedeihen eines Rebstocks und der damit verbundenen Traubenqualität verantwortlich sind. Als Ergebnis dieser Forschungen hat das Team von Baron Ricasoli ein Handvoll Sangiovese-Klone selektioniert, die ideal an das jeweilige Terroir angepasst sind und damit die besten Trauben zur Weinherstellung hervorbringen. In der konsequenten Umsetzung der umfangreichen Studienergebnisse wurden in den letzten Jahren sämtliche Weinberge mit den jeweils dafür selektionierten Klonen neu bestockt. Zuvor jedoch wurden die Weinberge mit schwerem Gerät in ihrer jeweiligen Exposition und Wasserführung durch neue Drainagen und teilweise massive Bodenbewegungen optimiert.

Als Folge der ersten massiven Veränderungen wurde mit dem 97er Jahrgang ein neuer Chianti eingeführt, der in die Phalanx der damals erfolgreichen „Supertoscans“ einbrach und sich gleichzeitig auf die Tugenden des klassischen Chiantis besann. Das Flaggschiff von Barone Ricasoli besteht heute aus mindestens 80% Sangiovese, ergänzt – je nach Jahrgang – durch unterschiedliche Anteile von Merlot und Cabernet Sauvignon. Die Jahrgänge zwischen 1997 und 2004 beschreibt Baron Ricasoli als „Jahre der Erkenntnis“, denn in kleineren Jahrgängen gelang manchmal der bessere Wein als in vermeintlich größeren Jahrgängen. Gemäß der Aussage von Baron Ricasoli hat man seit dem 2004er Jahrgang die Konsistenz in der Arbeit erreicht, die es nun Jahr für Jahr ermöglicht, das Potenzial von Rebe, Weinberg und Jahrgang vollumfänglich auf die Flasche zu bringen.

Stammten im 2004er Jahrgang erst ca. 50% der Trauben von den neu angelegten Weinbergen, so sind es bei aktuellen Jahrgängen nahezu 100%. Die hohe Pflanzdichte (6.000 – bis 6.600 Pflanzen/ha) der Reben und die damit verbundene Konkurrenz zwischen den einzelnen Stöcken sowie ihr, von nun an zunehmendes Alter werden in den nächsten Jahrzehnten dafür sorgen, dass die von Baron Francesco Ricasoli ausgebrachte Saat aufgeht und er und sein Team Jahr für Jahr den Schlüssel für hervorragende Chiantis in der Hand halten.

Verkostungsnotizen

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2010 Castello di Brolio Chianti Classico, Barone Ricasoli: Wunderschöner, klarer Duft. Am Gaumen ebenfalls sehr klar und saftig, mit schönem Zug und Grip. Die herrlich extraktreiche Frucht ist geprägt von Kirschen, blau-violetten Früchten und Veilchen; mineralische Anklänge sind unverkennbar. Dieser Chianti ist bestens strukturiert, die schönen Tannine sind das Spiegelbild physiologisch voll ausgereifter Trauben und die Säure zeigt sich ebenfalls von ihrer harmonischen Seite. Beim Holz hat man nicht nur auf Barrique gesetzt, sodass feinwürzige Aromen die Frucht veredeln und sie nicht überlagern. Die sehr gute Qualität des Jahrgangs 2010 in der Toskana hat hier einen wahren Musterschüler und Fürsprecher gefunden.
18/20 2014–2022

2008 Castello di Brolio Chianti Classico, Barone Ricasoli: Der 2008 Chianti duftet ebenfalls nach Kirschen, aber sowohl in der Nase als auch am Gaumen kommt das Holz ein wenig stärker durch als beim formidablen 2010er Jahrgang – auch die Tannine sind ein wenig eckiger ausgefallen. Am Gaumen zeigt er eine klare, dunkle und eher kühle Linie mit einer minzigen Frische. Balsamische Noten, Leder und Tabak spielen eine ebenfalls gewichte Rolle in der ansonsten von Kirschen und Waldbeeren geprägten Frucht. Der Wein hat Tiefe und eine gute Länge.
17/20; 2013–2020

2007 Castello di Brolio Chianti Classico, Barone Ricasoli: Runder, duftiger Ansatz; neben dem typischen Aroma von Schwarzkirschen bekommt man viele rote und schwarze Beerenfrüchte geboten, abgerundet durch eine schöne Milchschokolade. Die Tannine sind im Vergleich zu anderen Jahrgängen weicher und die saftige Frucht sowie die erkennbare Extraktsüße machen den 2007er Jahrgang sehr zugänglich und trinkig. Süße Lakritze und feinwürzige Aromen runden das Bild ab.
16+/20; 2013–2016

2006 Castello di Brolio Chianti Classico, Barone Ricasoli: Wunderbarer Stoff – wunderbarer Chianti! Die Nase wird verwöhnt mit einer ausdrucksvollen Frucht und einem komplexen Duft von schwarzen Knubberkirschen, schwarzen Beerenfrüchten (Brombeeren, Holunder), erdigen Töne, Unterholz sowie balsamischen Anklängen. Am Gaumen ein konsistenter Eindruck der Aromen. Frisch, saftig und mit mittlerem bis kräftigen Körper ausgestattet; die klare Frucht wird getragen durch kraftvolle, aber runde Tannine und die Säure wirkt perfekt eingebunden; mineralische Anklänge. Ein hedonistischer und ausgewogener Wein, der klar zu erkennen gibt, wo er seine Heimat hat – und das ist auch gut so! Hoher Trinkfluss, die Hand geht zum Glas, jetzt in perfekter Kondition, die er sicherlich noch ein paar Jahre halten wird.
17+/20 2013–2020

2005 Castello di Brolio Chianti Classico, Barone Ricasoli: Dieser Jahrgang offenbart – neben der typischen, dunklen Kirscharomatik – eine eher rotbeerige Frucht, sowie Anklänge an Leder, Tabak und Kaffee. Auch am Gaumen rangeln die würzigen Aromen mit der Frucht um die Vorherrschaft; der kräftige Körper und eine gut eingebundene Säure sind überzeugend. Die im direkten Vergleich zum 2006er Jahrgang etwas kräftigeren und kantigeren Tannine vermitteln ein strukturbetonteres Gefüge, das jedoch etwas zu Lasten der Trinkfreude geht. Auch in Sachen Länge bietet der 2006er ein wenig mehr.
16+/20 2013–2017

2004 Castello di Brolio Chianti Classico, Barone Ricasoli: Die Nase zeigt erste Noten von Reife, ein Hauch von Liebstöckel. Die dunkle Beerenfrucht- und Kirscharomatik bleibt jedoch stilbildend; Anklänge von Röstaromen und Milchschokolade. Die aromatischen Eindrücke am Gaumen sind vergleichbar, zusätzlich umspielen getrocknete Kräuter die Frucht; der Wein besitzt immer noch einen schönen Saft; die Tannine schmelzen ab. Leider bleibt er in Sachen Länge hinter den anderen Jahrgängen ein wenig zurück. Der Wein darf langsam ausgetrunken werden.
16/20 2013–2015

Auf dem Beitragsfoto (v.l.n.r.): Betriebsleiter Massimilliano Biagi, Baron Francesco Ricasoli und Önologe Marco Cerqua

Beitrag und Foto: Michael Quentel

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