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Auf den Kopf gestellt

Auf den Kopf gestellt

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Auf den Kopf gestellt

Eigentlich sollte er gar kein Winzer werden, sondern einen „vernünftigen“ Schreibtischjob ausüben. Doch es muss in seinen Genen liegen, dass sich Jochen Dreissigacker letztlich anders entschieden hat. Zum Glück für ihn und für alle Weinliebhaber weisser Gewächse.

Wie das Leben manchmal so spielt. Ursprünglich war Jochen Dreissigacker als der jüngere von zwei Brüdern nicht als Nachfolger für das elterliche Weingut in Bechtheim vorgesehen. Daher absolvierte er ab 1997 eine Lehre zum Steuerfachangestellten. Doch bereits während er die trockenen Paragrafen studierte, fasste er den Entschluss, danach eine Ausbildung zum Winzer zu absolvieren. Auch ohne die Möglichkeit, in den elterlichen Betrieb einzusteigen. «Die Tätigkeit im Steuerbüro war interessant und letztlich auch für meinen weiteren Berufsweg hilfreich, aber sie hat mir deutlich gezeigt, wie sehr ich im Grunde am Weinbau hänge», begründet der 33-Jährige seine damalige Entscheidung.

Also begann er 2001 eine weitere Ausbildung und zwar gleich bei einer der ersten Adressen, im Weingut Keller in Flörsheim-Dalsheim. Ein Jahr später setzte er die Lehre beim auch nicht unbekannten Weingut Bergdolt Klostergut St. Lambrecht in der Pfalz fort, bevor er dann bis 2005 seinen Techniker für Weinbau und Önologie in Weinsberg absolvierte. Schon während des ersten Lehrjahres baute er zu Hause seinen ersten Riesling aus und war ab 2002 zusammen mit seinem Bruder Christian schon für die gesamte Produktion zuständig. «Ab 2005 war ich dann komplett im Weingut tätig. Also alles etwas im Schnellformat», blickt Jochen Dreissigacker zurück.

Schnell ging es auch weiter. Sein Bruder übernahm ein Jahr später das ebenfalls in Bechtheim angesiedelte Weingut Dr. Koehler, da sich der elterliche Betrieb in den Jahren davor doch überwiegend nach Jochens Ideen und Weinstil orientiert und entwickelt hatte. Mittlerweile gehen sie sozusagen wieder gemeinsame Wege, angefangen von der Umstellung auf ökologischen Anbau bis hin zu einer Maschinengemeinschaft für die Weinbergsarbeiten und einem gemeinsamen Versand. Doch während Christian heute verstärkt auf weisse Burgundersorten setzt, ist Jochens Liebling der Riesling geblieben, der auf einigen Westhofener Spitzenlagen wie Morstein, Aulerde und Kirchspiel sowie dem Bechtheimer Geyersberg tolle Qualitäten liefert.

Das gab es früher bei Dreissigackers nicht. Da wurden in der Vergangenheit mehr restsüsse Weine ausgebaut, darunter auch viele Rotweine. Doch Jochen setzte seine eigenen Vorstellungen durch, die mit der damaligen Arbeitsweise wenig gemein hatten. «Wir haben auf ökologischen Weinbau umgestellt, unseren Rotweinanteil von 40 Prozent auf 10 Prozent reduziert, dafür unseren Rieslinganteil auf 60 Prozent ausgebaut und die Weine von überwiegend halbtrocken und mild auf 97 Prozent trockene Weine verändert», erzählt Jochen Dreissigacker. «Ausserdem werden die Trauben seither überwiegend von Hand geerntet, spontan vergoren und wir arbeiten mit Maischestandzeiten und langem Hefelager. Also alles völlig neu.» Das kann man wohl sagen.

In vielen Betrieben knirscht es heftig, wenn der Nachwuchs so ziemlich alles auf den Kopf stellt. Gab es denn keine Diskussionen mit den Eltern hinsichtlich der Veränderungen? «In keinem Fall. Mit den Veränderungen hin zum absoluten Qualitätsweinbau, die ich eingebracht habe, waren sie immer einverstanden. Und als sich die wirtschaftlichen Bedingungen nach der Umstellung als negativ dargestellt hatten, da viele unserer Kunden mit dem neuen trocken und bodenbetonten Weinstil nicht umgehen konnten und keine Weine mehr kauften, haben sie mir den Rücken gestärkt», blickt Jochen Dreissigacker zurück und fügt lächelnd hinzu: «Man muss dazusagen, ich war damals Anfang zwanzig und meine Eltern erst Mitte vierzig. Ich kann nicht sagen, ob ich heute noch bei ähnlichen Situationen so entspannt wäre.»

Nun, die finanziellen Einbussen sind längst Schnee von gestern. Heute spielt der 26 Hektar Rebflächen umfassende Betrieb in Bezug auf Qualität und Preis in der prestigereichen rheinhessischen ersten Liga mit. Hand in Hand mit den Eltern. Die Mutter kümmert sich um den Verkauf und die Versorgung des ganzen Teams. Das bedeutet jeden Mittag für alle, manchmal bis zu 15 Personen, kochen und nebenbei mal schnell noch eine Weinprobe halten. Sein Vater ist «der Weinbergsmensch» und sehr oft mit dem Traktor unterwegs, während Jochen sich selbst quasi als Mädchen für alles bezeichnet.

Doch der Winzer hat noch mehr im Sinn. «Ich will diesen Weg als Qualitätsweinproduzent fortsetzen, um das Weingut im In- und Ausland noch positiver zu besetzen, und allen zeigen, was Rheinhessen und Deutschland zu bieten hat.» Das bedeutet nach seiner Ansicht noch mehr Handarbeit und Sorgfalt im Weinberg sowie ein perfektes und qualitätssicherndes Ausbauen im Keller, um noch eigenständigere Weine zu gewinnen. Darauf darf man neugierig sein, obwohl die Weine schon deutlich für sich sprechen. Vor allem, wenn man ihnen etwas Zeit zum Entwickeln gibt. Flasche auf, einschenken und austrinken, damit würde man sich eines guten Teils des Vergnügens berauben. Zumindest dekantieren schadet bei den Spitzenweinen nicht. Denn Jochen Dreissigacker ist ein Fan der Maischestandzeit bei seinen weissen Gewächsen. Bis zu vier oder fünf Tage kann sie betragen. «Das ist immer eine Gefühlssache. Ich probiere die Trauben beziehungsweise den Saft und entscheide dann, wann wir abpressen.»

Sein Bauchgefühl lässt ihn selten im Stich. Das kann man etwa bei den Jahrgangsverkostungen im Weingut überprüfen. Diese konzentrieren sich auf die Weine und, sozusagen als feine Untermalung, auf sehr gutes Essen. In den letzten beiden Jahren sorgte dafür Otto Gourmet mit grossartigen Fleischgerichten, und davor zauberte der Sternekoch Thomas Kammmeier aus dem Restaurant Hugos in Berlin. «Immer mal wieder etwas Neues und Spannendes», versichert der Winzer, der mit seinem Weissburgunder Einzigacker und der Silvaner Reserve beweist, dass er nicht nur mit dem Riesling virtuos umgehen kann.

 

Verkostungsnotizen Weissweine

2012 Morstein Riesling trocken: 30 % des Weins kamen nach einer 60-stündigen Maischestandzeit ins Holzfass. Das Resultat überzeugt mit Aromen von gelben Früchten, begleitet von nussigen, würzigen sowie dezent rauchigen Noten und mineralischer Präsenz. Am Gaumen schön ausgeprägte Frucht, würzige Anklänge, präsente Mineralik, animierende Säure, kraftvoll, komplex und elegant mit stattlichem mineralisch-fruchtigen Nachhall.
18/20 –2025

2013 Geyersberg Riesling trocken: Der Frischling der Probe zeigt sich mit Aromen von Äpfeln, Birnen, Quitten, Aprikosen und Zitrusfrüchten, begleitet von würzigen Akzenten und einer üppigen mineralischen Präsenz. Im Mund präsentiert er sich fruchtig, mit würzigen Akzenten, dichter Mineralik, lebhafter Säure, komplexer Struktur, dicht und sehr elegant mit einem sehr langen mineralisch-fruchtigen Nachgeschmack.
18/20 –2023

2012 Geyersberg Riesling trocken: Die Maischestandzeit betrug 48 Stunden, der Ausbau erfolgte zu 40 % im Holzfass. Im Glas zeigen sich Aromen von Äpfeln, Quitten, Grapefruit und Aprikosen, begleitet von würzigen Noten und einer mineralischen Präsenz. Im Mund feine Frucht, vorwiegend von gelben Früchten, würzige Akzente, dichte Mineralik, feine Säure, komplexe Struktur, dicht und sehr elegant mit einem sehr langen fruchtig-mineralischen Nachgeschmack.
17+/20 –2022

2012 Kirchspiel Riesling trocken: Da hielt sich Jochen Dreissigacker bei der Maischestandzeit zurück und verarbeitete den Wein schon nach 18 Stunden. Die Hälfte wurde im Holzfass ausgebaut. Im Glas zeigen sich Aromen von Äpfeln, Aprikosen, Stachelbeeren, dazu etwas Maracujas und Mandarinen, würzige Noten, nussige und rauchige Anklänge und feine Mineralik. Am Gaumen fruchtig, mit würzigen Akzenten, etwas Nüssen, mineralische Präsenz, feine Säure, komplexer Auftritt, mit langem fruchtig-mineralischem Nachhall.
17+/20 –2020

2012 Aulerde Riesling trocken: Die Maischestandzeit betrug 36 Stunden, aber der Ausbau erfolgte zu 100 % im Holzfass. Danach zeigt er sich mit Aromen von Äpfeln, Ananas und etwas Bananen, leichten würzigen Noten und mineralischen Akzenten. Im Mund präsentiert er feine Frucht, würzige Anklänge, mineralische Noten, feine Säurestruktur, elegante Art und einen fruchtig-mineralischen Abgang.
17/20 –2025

2012 Rosengarten Riesling trocken: Der Ausbau erfolgte ebenfalls zu 100 % im Holzfass, aber die Maischestandzeit betrug 48 Stunden. Im Glas zeigt sich der Rosengarten mit Aromen von tropischen Früchten, vor allem Lychees, Mango und Passionsfrüchten, würzigen Anklängen, einem zarten Rosenduft und mineralischen Akzenten. Am Gaumen feine Frucht, florale und würzige Anklänge, etwas Tabak, mineralische Noten, animierende Säure, Eleganz und ein langer fruchtig-mineralischer Nachhall.
17/20 –2025

2012 Hasensprung Riesling trocken: Die Maischestandzeit betrug hier stattliche 70 Stunden, danach wurden 20 % des Weines im Holzfass ausgebaut. Er zeigt sich mit Aromen von vollreifen Birnen, kandierten Früchten, dazu würzige wie florale Anklänge und mineralische Akzente. Im Mund fruchtig, vor allem wieder Birnen, etwas Nüsse, würzige Anklänge, feine Mineralik, ansprechende Säure, cremige, elegante Art und ein fruchtig-würziger Abgang.
17/20 –2020

2012 Wunderwerk Riesling trocken: Das Wunderwerk ist noch ein Neuling des Hauses und stammt von relativ jungen Rebstöcken aus den Bechtheimer Lagen Rosengarten, Geyersberg und Stein. Die Maischestandzeit betrug rund 70 Stunden, danach erfolgte zu 30 % der Ausbau im Holzfass. Das Resultat duftet nach Pfirsichen, Birnen, Äpfeln, Limetten und etwas Maracuja, begleitet von nussigen und rauchigen Anklängen sowie mineralischer Präsenz. Am Gaumen feine Frucht, würzige Noten, deutliche Mineralik, animierende Säure, dicht und elegant mit einem langen fruchtig-mineralischen Nachgeschmack.
17/20 –2022

2012 Einzigacker Weissburgunder trocken: Nach einer 70-stündigen Maischestandzeit reifte der Wein zu 100 % in 500-Liter-Tonneaus. Das Resultat zeigt sich mit Aromen von Zitrusfrüchten, Pfirsichen, Veilchen und Orangenblüten, nussigen und floralen Noten, würzigen Anklängen und mineralischen Akzenten. Am Gaumen fruchtig, florale Noten, nussige und zartwürzige Anklänge, gut eingebundenes Holz, feine Säure, kraftvolle Art, dichte Struktur und ein würzig-nussiger Nachhall.
17/20 –2020

2012 Westhofener Kirchspiel Silvaner Reserve trocken: Nach einer 70-stündigen Maischestandzeit und Ausbau in 500-Liter-Tonneaus präsentieren sich Aromen von Stachelbeeren, getrockneten Früchten wie Aprikosen und Datteln sowie Anklänge von Grapefruits, begleitet von etwas Honig und Heu. Im Mund fruchtig, vor allem Stachelbeeren, Quitten und Äpfel, dazu würzige Noten, florale Anklänge, ein Hauch Tabak, feine Mineralik, harmonische Säure, gute Dichte, kraftvolle Präsenz und ein langer fruchtig-feinwürziger Abgang.
17/20 –2018

2012 Bechtheimer Silvaner trocken: Maischestandzeit 60 Stunden, danach 30 % im Holzfass ausgebaut. Im Glas präsentieren sich Aromen von Äpfeln, Birnen, Quitten, etwas Pfirsichen und tropischen Früchten, würzige Noten und florale Anklänge. Im Mund üppige Frucht, feinwürzige Akzente, nussige Anklänge, mineralische Noten, harmonisch eingebundene Säure, eleganter Auftritt, gute Dichte und ein langer fruchtig-feinwürziger Abgang.
16+/20 –2018

2013 Dreissigacker Riesling trocken: Einstiegswein mit Spassfaktor. Nach einer Maischestandzeit von 18 Stunden wurden 10 % im Holzfass ausgebaut. Das Ergebnis duftet nach Zitrusfrüchten sowie etwas Papaya und Maracuja. Im Mund fruchtig, mit würzigen Noten, mineralischer Präsenz, rassiger Säure und einem fruchtig-zartwürzigen Abgang.
16/20 –2019

2013 Dreissigacker Weissburgunder trocken: Nach 48 Stunden Maischestandzeit erfolgte der Ausbau zu 40 % im Holzfass. Im Glas zeigt der Wein vor allem Aromen von Äpfeln und etwas reifen Melonen, dazu florale Akzente und mineralische Noten. Am Gaumen fruchtig, mit floralen Anklängen, feiner Säure, mineralischen Akzenten, kompakter Struktur und ansprechender Eleganz mit einem fruchtig-mineralischen Nachhall.
16/20 –2018

2013 Bechtheimer Riesling trocken: Nach einer Maischestandzeit von rund 48 Stunden und einem 20%igen Ausbau im Holzfass präsentiert der Ortswein feine Aromen von gelben Früchten, Anklänge von kandierten Zitrusfrüchten, würzige Noten und mineralische Akzente. Im Mund fruchtig, vorwiegend Pfirsiche und Melonen, würzige Akzente, mineralische Präsenz, animierende Säure, ausdrucksstarke Art, kraftvoller Auftritt und ein fruchtig-würziger Nachhall.
16/20 –2021

 

Verkostungsnotiz Rotwein

2011 Wunderwerk Spätburgunder trocken: Nach einer zweijährigen Reifezeit in Barriques, davon ein drittel Erstbelegung, zeigt sich das Wunderwerk mit Aromen von Schwarzen Johannisbeeren, Sauerkirschen und etwas Holunderblüten, begleitet von Paprikaanklängen sowie nussigen und rauchigen Akzenten. Im Mund präsentiert es sich mit feinen Beerennoten, dezenter Säure, einem eleganten Tanningerüst und einem fruchtig-zartwürzigen Nachhall.
16+/20 –2021

Foto: Dreissigacker

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