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Deutschlands Grosse Gewächse: Vom Weizen und der Spreu

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Deutschlands Grosse Gewächse: Vom Weizen und der Spreu

Der 1. September ist ein Stichtag, den Weinliebhaber jedes Jahr aufs Neue mit Spannung erwarten: Es ist der Tag, an dem die Grossen Gewächse des Verbandes der Prädikatsweingüter (VDP), die «Grand Crus» Deutschlands, auf den Markt kommen.

Doch bevor es so weit ist, wird der aktuelle Jahrgang vom VDP im Rahmen einer exklusiven Vorpremiere zunächst internationalen Fachverkostern vorgestellt. Ende August 2015 gingen an den Start: 389 Weine, 246 Lagen, 128 Weingüter, 150 Verkoster aus 22 Ländern.

WEINWISSER war wieder mit von der Partie und hat die Grossen Gewächse mit einem vierköpfigen Autorenteam bestehend aus Mario Scheuermann, Yves Beck, Thorsten Kogge und Markus Budai bewertet. Nur im Team hatten wir die Möglichkeit, alle vorgestellten Weine (bis auf wenige Ausnahmen) fachmännisch zu degustieren.

Bei einigen Regionen, wie etwa Mosel, Pfalz und Rheinhessen, waren gleichzeitig zwei bis drei WEINWISSER-Juroren aktiv. Das Ergebnis mit den besten Grossen Gewächsen ab 16 Punkten aufwärts finden Sie komplett in der vorliegenden Ausgabe.

Der Weinjahrgang 2014 erwies sich in Deutschland für viele Winzer als echte Bewährungsprobe: Ein warmer später Regen führte zu einem enormen Zeitdruck bei der Lese und zu Botrytisalarm. Die teilweise sehr geringen Erträge mussten mitunter mehrfach selektioniert werden, während bei einigen Winzern die Großen Lagen sogar komplett ausfielen.

Was jedoch den Weg in den Keller fand, war dann meistens doch von guter bis sehr guter physiologischer Reife. Dennoch bleibt nach der Verkostung der neuen Grossen Gewächse, die der Verband der Prädikatsweingüter (VDP) Ende August in Wiesbaden veranstaltete, festzuhalten: Beim Jahrgang 2014 (bei den Rotweinen vorwiegend 2013) trennt sich einmal mehr die Spreu vom Weizen.

Das heisst: Die wahren Grossen Gewächse und Terroirweine sind zum Teil wirklich grandios – der Rest hingegen ist einfach gut, hier und da auch durchaus sehr gut, aber das genügt auf Dauer nicht. Und dann gibt es leider auch noch die Weine, die schlicht nicht zum Grossen Gewächs taugen, weil zu stark von Botrytis geprägt oder zu schwach im Alkohol sind. Hier wären zwei Vorgaben als Massnahme wünschenswert gewesen: ein Verbot von Botrytistrauben für die Grossen Gewächse und in Jahren wie 2014 einen Mindestalkohol von 12,5 Vol.-%.

Einer der Leitsätze des VDP lautet: «Je enger die Herkunft, desto höher die Qualität». Seitdem Weingüter verstärkt außer dem Namen der Einzellagen auch die Namen einzelner Parzellen auf die Flasche schreiben, ist die Frage entstanden, wie aussagekräftig eine solche Zusatzbezeichnung sein kann. Eine ähnliche Debatte ist um die Verwendung der Namen von Gewannen entstanden. Beides entspricht dem, was man in Frankreich als «lieu dit» bezeichnet.

Bereits die Einzellage soll nach den Statuten des VDPs für eine ganz besondere Herkunftsqualität stehen, aber kann eine Parzelle innerhalb einer Lage wirklich noch einmal eine Schippe drauflegen? Die gute Nachricht lautet: Zumindest bei einigen Spitzenproduzenten zeigt genau das bereits Wirkung.

In nicht wenigen Fällen ist der Wein aus einer speziellen Parzelle im direkten Vergleich mit dem Wein aus der Einzellage stärker ausgefallen! Der Riesling Kastanienbusch von Dr. Wehrheim zeigt sich beispielsweise schon sehr lagentypisch und mit schöner Mineralität, aber erst der Kastanienbusch «Köppel» von Dr. Wehrheim offenbart das volle Potenzial dieser Lage, indem er noch dichter, tiefer und würziger ausfällt. Das ist sicherlich ein Musterbeispiel, wie sich engere Herkunft in noch höhere Qualität übersetzen lässt.

Ein weiteres positives Beispiel ist dieses Jahr der Im Sonnenschein «Ganz Horn» Riesling von Ökonomierat Rebholz im Vergleich zu dem einfachen Im Sonnenschein Riesling GG. Ohne Abstriche ist auch der Im Sonnenschein bereits ein sehr dichter, komplexer Wein, aber erst der »Ganz Horn» bringt die Lage vollständig zur Geltung.

Was sich hier mittelfristig abzeichnet, ist eine Trennung der Grossen Gewächse in zwei Klassen, in Grand Cru und Premier Cru, so wie es in Burgund der Fall ist. Dies war auch schon in den Statuten des Comitées Erstes Gewächs Anfang der 1990er Jahre vorgesehen. Damals sollte eine entsprechende Überprüfung der Lagen im Abstand von 15 Jahren erfolgen, also ab ca. 2007.

Jetzt wird der VDP diese Hausaufgabe zehn Jahre später erledigen müssen. Drumherum kommen wird er nicht; denn auch dies machte die Verkostung der Grossen Gewächse in VDP deutlich: Viele der klassifizierten Lagen sind eher zweite als erste Gewächse.

Wie eingangs schon erwähnt, haben wir die neuen Grossen Gewächse umfassend im Team mit vier Fachleuten verkostet, teilweise mehrfach. Dennoch werden aufmerksame Leser manche Namen von prominenten Lagen und Weingütern auf den folgenden Seiten vermissen. Das hat zwei Gründe: Zum einen verzichten wir darauf, Weine, die mit eher schwachen 15 oder 16 von 20 möglichen Punkten bewertet wurden, zu veröffentlichen. Davon sind Weine aus einigen kleineren Regionen wie Mittelrhein und Saale-Unstrut und beim Riesling auch aus Baden und Württemberg betroffen.

Zum anderen hat eine beträchtliche Anzahl von Weingütern ihre Weine entweder gar nicht oder nur teilweise zur Vorpremiere in Wiesbaden gezeigt, darunter u.a. August Kesseler (kein 2014er produziert), Balthasar Ress, Juliusspital, Bürklin-Wolf (kein Kirchenstück), van Volxem, Langwerth, Georg Müller Stiftung (alles abgestuft), Gut Herrmannsberg und Hans Lang. Das ist bedauerlich und zwingt uns in einem halben Jahr zu einer Nachverkostung. Die Weine dieser Betriebe waren zum Teil noch nicht abgefüllt bzw. sollen erst nach weiteren Monaten der Flaschenreife öffentlich gezeigt werden.

Da zu erwarten ist, dass in den kommenden Jahren noch mehr Weingüter diesem Beispiel folgen werden, steuert der VDP auf eine prekäre Situation zu. Lohnt sich der Aufwand einer großen Verkostung überhaupt noch, wenn einige Dutzend potenzieller Spitzenweine fehlen?

Bisher gibt es nur die Möglichkeit, den Wein ein Jahr später zu zeigen, wie es zum Beispiel im Rheingau die Staatsweingüter mit ihrer 2013er Domdechaney getan haben. Aber das kann auch nur eine Zwischenlösung sein.

In den Regionalverbänden gibt es deshalb aktuell Gespräche darüber, ob es nicht sinnvoll sein könnte, den Termin für die Erstpräsentation der Grossen Gewächse von September auf den Januar oder Februar des Folgejahres zu verschieben. Der bisherige Termin wurde vor über 25 Jahren vom damaligen Comitée Erstes Gewächs festgelegt und war unter den damaligen Bedingungen auch richtig.

Durch die heutigen Vinifizierungsmethoden (spätere Lese, mehr Holzfass, längerer Ausbau auf der Hefe, spätere Füllung etc.) haben die Weine grundlegend ihren Charakter verändert und erreichen Qualitäten, die man damals nicht kannte. Das führt zwangsläufig dazu, dass sich die Weine bei einer für Ende August, Anfang September Erstpräsentation nicht ihr volles Potenzial zeigen können. Dem sollte der VDP künftig unbedingt Rechnung tragen.

Text: Mario Scheuermann und Thorsten Kogge; Foto: Scheuermann

Die ausführlichen Verkostungsnotizen aller Grossen Gewächse finden Sie vollständig in WEINWISSER 9/15. Erscheinungstermin: 28. September 2015!

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